Ausgerechnet Föhr

Ausgerechnet die Insel Föhr. Ja, hier wird niemand nach mir suchen, aber ist das wirklich nötig gewesen? Hätte es nicht auch eine Wohnung im Hafenviertel von Hamburg sein können? Da gäbe es wenigstens Nutten. Oder Deutschland ganz verlassen! Ja, auf einer Sonnen gefluteten Südseeinsel als Kokosnussklopfer oder Strandharker oder so etwas arbeiten, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Statt dessen sehe ich mir hier die glücklichen Kinder an, die wiederum mich mit großen Augen ansehen, als wäre ich der Nikolaus und käme mit Geschenken. Wie mich diese glücklich lärmenden Kackbratzen ankotzen. Man kann keine vier Meter am Strand gehen, ohne dass man einer Sandburg ausweichen muss. Und dann die Mütter! Alleinerziehende Mütter sind die Pest. Die umschwirren mich wie Fliegen die Scheiße. Was hat den Boss geritten, mich ausgerechnet hier zu parken. Ja, auf der ganzen scheiß Insel scheint es keine handvoll Polizisten zu geben. Und niemand interessiert sich für das blutige Massaker, das schon Wochen her und weit weg in München passiert ist. Aber diese Rentner, die in andächtiger Ruhe der Sonne zusehen, wie sie sich in den unnatürlichsten Rotschattierungen aus dem Meer hoch kämpft, nur im ein paar Stunden wieder darin zu verschwinden, machen mich ganz hibbelig. Ich möchte endlich wieder den flehenden Blick genießen, den man ernten kann, wenn man sie glauben lässt, sie könnten ihr Schicksal noch abwenden. Die tun dann wirklich alles. Das ist manchmal sehr komisch. Endlich wieder jemandem ein Messer in die Eingeweide rammen und diesen ungläubigen Gesichtsausdruck genießen, wenn ich die Klinge langsam in der Wunde herum drehe. Und während dieser Blick noch ein paar Augenblicke benötigt, um sich mit fataler Erkenntnis zu paaren, wischt man sich respektlos die blutigen Hände an der dahinscheidenden Zielperson ab. Oh Gott, ich liebe meine Arbeit. Aber statt mir mein Geld mit meiner Hände ehrlichen Arbeit zu verdienen, sitze ich hier herum, gebe hier seit sechs Wochen den Schriftsteller mit Schreibblockade und warte. Und ich weiß nicht einmal worauf. Ich verbringe einen großen Teil meiner Zeit damit, in meiner Ferienwohnung am Tisch zu sitzen und mein Geschäftshandy anzustarren. O.k., es gibt hier auf Föhr ein paar Dinge, die mich manchmal ein bisschen aufheitern können. Zum Beispiel Friesentorte oder ein starker Pharisäer nach dem Essen. Die Ruhe und der salzige Wind oben auf dem Deich. Oder das Seil der Schaukel auf dem großen Spielplatz im Park kappen und dann die süßen kleinen Kinder zählen, die bedrippert dastehen und es nicht fassen können. Auch in der Ferienwohnung Krähenfüße zusammen löten und die Vorfreude genießen. Die Scheiß Erholungstouristen haben bestimmt eine prima Zeit in der Klinik. Leider werde ich nicht mehr hier sein, um das genießen zu können. Denn die lege ich natürlich erst in der Nacht vor meiner Abreise am Strand aus. Ich habe schon eine ganz ordentliche Menge hergestellt und scharf geschliffen. Das lässt mich auf einen großen Erfolg hoffen. Schade dass es nicht zum Saisonbeginn sein kann, wenn die gestressten Eltern ihre kleinen fröhlichen Nervensägen schon einmal an den Strand vor laufen lassen. Ich denke das jedes Mal, wenn ich die Widerhaken mit Zange und Feile sorgfältig aus den Stahlnägeln heraus arbeite. Aber die Erfüllung ist das alles nicht.

Aha, da geht mein Handy. Na endlich. Es fällt mir schwer die stoische Ruhe auszustrahlen, die ich zu so einer Art Markenzeichen für mich gemacht habe. Der Boss weiß ja zum Glück nicht, dass ich fast soweit bin, den Auftrag kostenlos zu machen. Für einen Außenstehenden muss das klingen, wie ein belangloses Gespräch. Aber für mich sind da alle Codewörter dabei, die wichtig sind. Klavier steht zum Beispiel für einen vom Fach. Schade, ich räume nicht gerne Kollegen weg. Es geht um mein Klavierspiel, nicht um seines, dass heißt ich soll einen spektakulären Anblick hinterlassen, also eine Bestrafung als Abschreckung für andere oder so etwas. Das ist gut, denn das kostet extra, weil der Boss glaubt, ich mache das nicht so gerne. Und juckender Ausschlag bedeutet, dass die Zielperson vielleicht etwas ahnt. Im Laufe des Telefonats erfahre ich dann noch den Zeitrahmen, wo ich weitere Infos abholen kann und dass ich hinterher mindestens ein halbes Jahr verschwinden soll. Scheiße, wieder eine lange Zeit ohne Arbeit.

Am nächsten Tag mache ich einen Tagesausflug nach Amrum. Die Insel ist im Grunde der gleiche Mist wie Föhr. Es sind weniger glückliche Familien mit Kindern, die herum nerven, dafür ein gerüttelt Maß mehr an glücklichen Rentnern, die hier die Ruhe und Beschaulichkeit genießen. Mit dem Taxi nach Nebel. Nein, die Sicht ist gut. Der bekackte Ort hat tatsächlich diesen dämlichen Namen. Erst einmal Zeit totschlagen. Ich kann schlecht bei Tageslicht hinter einem Grabstein meine Unterlagen hervorziehen, wenn hinter mir 15 Omas von Bridge-Club Wanne-Eickel die Führung durch den Kirchhof machen. Also rein ins Öömrang-Hüs und einen Haufen blaue Kacheln angucken, die für den Captain aus vergangener Zeit der Ausdruck von Lebensqualität waren. Hat aber nicht lange gedauert. Also lasse ich mir ein Restaurant in der Nähe empfehlen. Preester´s Hüs soll also gut sein? O.K. Ich probiere es trotz Deppenapostroph. Ja, hier kann man Zeit absitzen. Alles in mir schreit zwar danach, sofort zum Friedhof zu stürmen und nach zu sehen, wen ich zu massakrieren habe, doch erst einmal lasse ich mir ganz in Ruhe ein Steak mit grünen Bohnen schmecken. Danach nehme einen Pharisäer. Schließlich muss ich die Zeit bis Sonnenuntergang irgendwie herum bekommen. Nachdem ich die Inselzeitung gelesen habe und mir nicht aus Ekel und Verzweiflung dabei ein Bein ab gekaut habe, esse ich hier auch noch zu Abend. Auf die Art muss ich nichts weiter von dieser Seelen zermarternden Idylle sehen.

So, ich bin satt und einigermaßen zufrieden. Den Drang, die wenigen Meter bis zur Kirche zu sprinten, halte ich diszipliniert unterdrückt. Als ich aber eine versiegelte Plastikmappe aus dem Gestrüpp hinter dem angegebenen Grabstein ziehe, zittern mir sogar ein bisschen die Hände. Ende mit Disziplin! Soll doch das turtelnden Mittsechziger-Pärchen sehen, dass ich eine Akte lese, die ich hinter einem Grabstein gefunden habe. Gerade will Opa forsch auf mich zugehen. Wahrscheinlich will er irgend so was geistreiches sagen wie: „Was machen sie da?“, doch der Anblick meines mit Bedacht leicht überdimensioniert gewählten Messers lässt ihn umkehren, seine angewelkte Liebste am Arm nehmen und in Richtung Straße abziehen. Endlich. Ich habe dieses Messer extra mit in die Ödnis der friesischen Inseln genommen, falls doch noch ein Auftrag kommt. Die Klinge habe ich mit Diamantschleifpaste bis an die Grenze des Menschenmöglichen geschärft. Ich spüre nicht den geringsten Widerstand, als ich das Siegel zerschneide. Aha. Das Foto ist im Licht der Kirchenfenster gut zu erkennen. Ein junger Mann mit Schnauzbart in Jeans und modernen Turnschuhen. Beim Überfliegen der Textseiten lerne ich das Wichtigste über ihn. Er heißt Marek, ist Pole, und bevorzugt schallgedämpfte Pistolen auf kurze bis mittlere Distanz. Gerne auch in Menschenmengen. Na wenigstens macht es das spannender. Während ich zur Straße gehe, habe ich die sehr befriedigenden Bilder im Kopf, wie ich diesem Marek mit der Hand in die Stichwunde im Bauch greife, um ihm das eigene Gedärm um den Hals zu arrangieren, oder wie ich seine Gliedmaßen an den Tisch nagele, bevor ich sie der Länge nach…

Ein Taxi kommt, als hätte ich eines bestellt. Die junge Frau an der Bushaltestelle fragt mich, ob wir uns das Taxi nicht teilen wollen. Sie lächelt mich mit einem verführerischem Klein-Mädchen-Blick an. So eine könnte ich heute gut für die Nacht brauchen. Sie sagt, sie müsste unbedingt noch die letzte Fähre nach Föhr bekommen. Ja, allein und wahrscheinlich ohne viel Geld für die Nacht hier stranden, das wäre wohl ziemlich unerfreulich. Aber ich teile Taxis aus Prinzip nicht und so freue ich mich nicht an ihrem zuckendem Körper auf meiner Matratze, sondern daran, wie sie die Fresse verzieht, als ich sie anlächle, ein kaltes „Nein“ hauche, und keinen Spielraum für Widerspruch lasse. Auf der Fähre sehe ich sie dann wieder. Sie sitzt wie ich allein an einem Tisch und trinkt eine Cola. Meine Laune ist glänzend. Ich überlege ob ich den Reumütigen spiele und sie anflirte, nur um sie dann nochmal kalt abzuservieren. Aber dann driften meine Gedanken wieder ab. Der Abgang des Polen soll abschrecken. Das lässt mir viele Möglichkeiten offen. Irgendwann reißt mich die Bedienung aus meinen angenehm blutigen Tagträumen. Ich bezahle also und gehe nach vorne. Es hat angefangen zu regnen. Der Abendhimmel, der da irgendwo über mir sein müsste, ist in etwa in der Richtung verborgen, aus der die wütenden Regentropfen angestürzt kommen, um alles wegzuspülen, was nicht festgemacht ist. Dabei ist diese Richtung kaum festzustellen, denn Windböen peitschen den Regen mal in die eine und dann doch wieder in die andere Richtung.

Die Fahrt mit dem Taxi nach Dunsum ist ereignislos. Die Sichtweiten sind so ungefähr bei 75 Metern, aber was soll es denn hier auf der Insel für Verkehr geben. Die 150 Meter zur Ferienwohnung reichen aus, um mich völlig zu durchnässen. Was soll’s, nichts was eine heiße Dusche nicht wieder in Ordnung bringen kann. Die alte Frau Petersen, meine Wirtin, versucht mir einen „schönen, heißen Friesentee“ aufzudrängen. Sie habe auch gerade einen gedeckten Apfelkuchen gebacken, er sei auch noch ein bisschen warm. Ich möchte der senilen Alten meinen Stiefelabsatz in die Fresse drücken und den Tee über ihren wimmernden Schädel kippen, aber das fiele dann wohl nicht mehr in die Kategorie „unauffällig“ Ich verspreche also gerne auf eine Tasse Tee zu ihr herunter zu kommen, nachdem ich mich unter der Dusche aufgewärmt habe.

Die heiße Dusche tut gut. Hinterher ziehe ich mich an und gehe zu meiner Wirtin hinunter. Sie erzählt die ganze Zeit über von ihrem verstorbenen zweiten Ehemann und ihrer Tochter, die zwar Kieferchirurgen an der Uni-Klinik ist, aber immer noch keinen Mann und immer noch keine Kinder hat. Als würde es nicht schon genug von diesen ewig verrotzten Blagen in der Welt geben. Ich möchte dem greisen Weib ins Gesicht brüllen, wie dumm und öde alles an ihr und ihren Geschichten ist. Aber ich lächle, lobe den tatsächlich leckeren Kuchen und erzähle von dem „schönen Ausflug“ nach Amrum. Dann hat das Friesentee-Martyrium endlich ein Ende. Die alte Schachtel hat sich immer wieder heimlich einen ordentlichen Schluck Rum in den Tee getan. Es besteht also immerhin die Hoffnung, dass sie sich mit unsicherem Schritt die Hüfte bricht und im Krankenhaus an einer Infektion verreckt. Man darf die Hoffnung nicht verlieren, man soll ja positiv denken.

Als ich wieder oben in meiner Wohnung bin, habe ich trotzdem gute Laune. Morgen werde ich meine Ferienwohnung hier kündigen und ein paar Tage in der Nähe meiner Zielperson in Mainz verbringen. Eine angenehm frische Brise weht durch das Dachfenster herein. Ich kann mich nicht erinnern, es geöffnet zu haben. Auf dem Wohnzimmertisch liegt die Mappe mit den Papieren zu meinem Auftrag, sein Foto obenauf. Scheiße! Hier hat jemand in meinem Zeug gewühlt, während ich unten das Geschwafel der langweiligen alten Tussi ertragen musste. Meine ins leere tastenden Hände haben mir lange die Gewissheit verschafft, dass ich nach dem Duschen keine Bewaffnung angelegt habe. Ich drehe mich in Richtung meines Schlafzimmers. In der Tür steht die junge Frau von der Fähre. Sie hat eine kleine Pistole in der Hand, auf die ein viel zu groß wirkender Schalldämpfer geschraubt ist. Ich höre zwar, wie der Hammer auf die Patrone schlägt und auch den Knall, aber wenn ich in der Küchenzeile einen Löffel fallen lasse, ist die Lautstärke vergleichbar. Ich stehe einfach da und starre sie ungläubig an. Nach einem Moment spüre ich dann diesen heiß brennenden Schmerz, der sich durch meinen Bauch zieht. Ein so gemeines Gefühl habe ich noch nie gespürt. Es tut schweinisch weh. Aber der Schmerz wird bald von einer willkommenen Taubheit abgelöst, so dass ich die beiden folgenden Bauchschüsse zwar noch spüre, sie schmerzen aber nicht mehr. Irgendwie bin ich wohl umgefallen. Ich blicke von dem hässlichen Teppich schräg nach oben. Sie trägt gar kein Makeup mehr. Kurz bewegt sich meine blutverschmierte Hand unkoordiniert durch mein Sichtfeld. Die junge Frau tritt vor mich und sagt mir lächelnd ein paar Worte. Sie hat eine erstaunlich sonore Stimme. Ich verstehe sie nicht. Irgend eine slawische Sprache. Polnisch, Russisch, Ungarisch. Die klingen alle gleich. Ich spüre etwas warmes, dass sich in meinem Schritt ausbreitet. Na geil, ey! Jetzt pisse ich mir vor ihr auch noch die Hose voll. Sie zieht sich leise singend eine Jacke an und kämmt sich dann die Haare zurück, um sie zu einem Pferdeschwanz zu binden. Ein kaltes Zittern breitet sich in mir aus. Das Atmen fällt mir schwer und jetzt ist da wieder Schmerz. Ein dumpf drückender Schmerz im Bauch, der meine gesamte Aufmerksamkeit für sich beansprucht. Hätte ich die Kraft dazu, würde ich jetzt sicher kotzen. Als sich die junge Frau den falschen Schnauzer angeklebt hat, ist sie Marek der Pole. Es ist nicht mehr genug Kraft in mir, um mich vor Schmerz zusammenzurollen. Da ist nur noch Qual, die mit jedem Herzschlag intensiver wird. Oh Gott, ich schaffe es nicht einmal zu schreien. Ich verstehe nicht, was sie oder er mir sagt, aber sie lacht und verhöhnt mich. Als mir die Augen zufallen und ich alle meine Hoffnungen in eine nahende Ohnmacht setze, trifft mich ein Tritt von hinten in die Niere. Er/Sie rollt mich auf den Rücken. Marek hat die Papiere in der Hand. Es habe ihm viel Spaß hier mit mir gemacht. Arschloch! Merkt der/die denn nicht wie sehr ich leide? Wie kann ein Mensch an so etwas Vergnügen finden? Sie/Er bückt sich zu mir herunter. Ausgerechnet mit dem Messer, mit dem ich den Auftrag ausführen wollte, schlitzt mir dieser/diese Perverse den Bauch langsam von rechts nach links auf. Diesen Schmerz kann man noch steigern?! Oh Gott, bitte nein! Lass es aufhören! Ich wünschte, ich könnte sie/ihn wenigstens um Gnade anflehen oder wimmern, aber mehr als Sabbern und Stöhnen schaff ich nicht mehr. Aber jetzt wird es wenigstens endlich dunkel. Sollte Ich jetzt nicht einen Tunnel mit Licht am Ende sehen? Nichts. Nur Schmerz und Dunkelheit.