Mir fällt einfach kein Guter Titel für die Kurzgeschichte ein. Vielleicht kann ja einer von Euch, Ihr meine Tausenden treuer Fans, einen Titel vorschlagen.
Das Wartezimmer ist hübsch eingerichtet. In einer Ecke vor dem Fenster steht ein rosafarbenes Sofa und ein passender Sessel. Der Fußboden ist mit cremefarbenen Teppichfliesen belegt und vor dem Sofa liegt ein Läufer dessen Pastellfarben orange dominiert werden. Die Stühle gegenüber der Anmeldung sehen alt aus. Dunkles Holz mit geblümten Polstern. Die Stuhlreihe auf der anderen Seite wirkt moderner. Chromglänzende Stühle mit hellen Lederpolstern. An der Wand hängen Kunstdrucke. Von Renoir Pont Neuf und Der Dogenpalast in Venedig, von Cézanne Mont Sainte-Victoire und Die Bucht von Marseille und von Monet Die Terrasse von Sainte-Adresse. Der sonst in großen Wartezimmern übliche Tisch mit Zeitschriften fehlt. Rebecca findet das aber gar nicht schlimm. Der Raum duftet ganz leicht nach Blüten und Gewürzen. Rebecca hat bis eben auf einem der alten Holzstühle gesessen und sich mit ihren Gedanken in der Bucht vom Marseille verloren. Jetzt allerdings erschallt der leise Aufruf „Frau Kerstin Heimen, bitte zu Frau Dr. Heinemann“. Eine Junge Frau mit traurigen Augen erhebt von dem Sofa, auf dem Rebecca nun mittig Platz nimmt. Ihr Freund akzeptiert lächelnd, dass sie das Sofa für sich allein haben möchte und setzt sich auf einen der Chromstühle. Rebecca sieht sich im Wartezimmer um, bleibt aber schnell mit dem Blick und den Gedanken an Monets Terassen hängen.
Es vergehen einige Minuten ehe Rebecca leise spricht. „ Der ältere Herr mit dem hellen Hut sollte den jungen Mann mit dem Zylinder nicht so neidisch ansehen.“
Der junge Mann, der im Sessel neben dem Sofa sitzt und in einer Wirtschaftszeitung liest sieht sie irritiert an. „Bitte?“
„Oh, ich hatte nicht sie gemeint.“
Der Blick des jungen Mannes streicht kurz suchend durch das ihn umgebende Wartezimmer. Es sitzen erst wieder mehrere Stühle entfernt andere Patienten. Er ist sozusagen allein mit Rebecca in dieser Ecke des Raumes. Genervt widmet er sich mit großem Gehabe wieder seiner Zeitung.
Rebeccas Freund antwortet mit der Sanften Stimme in ihrem Kopf, die nur sie zu hören vermag.
Rebecca rümpft die Nase. „Du tust schon wieder so allwissend. Nein, ich finde wenn ein älterer Herr ein junges Pärchen betrachtet, schwingt in seinem Blick meistens Traurigkeit und Neid mit. Besonders wenn er den jüngeren Mann betrachtet.“
Der Mann mit der Zeitung dreht sich demonstrativ etwas von Rebecca weg und schüttelt leicht den Kopf und verdreht die Augen.
Mit angestrengt nachdenklichem Gesicht betrachtet Rebecca weiter den Kunstdruck Monets. „Nein, das glaube ich nicht. Monet hätte doch die Boote viel deutlicher gemalt, wenn der ältere Herr sie betrachten würde. Er sieht sich die jungen Leute an und ist neidisch weil sie noch jung und verliebt sind.“ Diese Feststellung duldet keinen Widerspruch.
Die leise Lautsprecheransage beendet ohnehin jede weitere Erörterung des Problems. „Frau Rebecca Bruning, bitte zu Frau Dr. Krüger.“
In der Tür zum Sprechzimmer steht Rebeccas Mutter. Ihr Blick ist wie immer Sorgenvoll, als sie ihre Tochter ansieht. Rebecca kann das nicht leiden. Die Mutter hält sie kurz bei beiden Händen und versucht sie aufmunternd anzublicken. Rebecca findet das total peinlich. Schließlich braucht sie ja keine Aufmunterung, höchstens ihre Mutter.
Das Sprechzimmer wird von dunklem Holz beherrscht. Eine Wand wird in ganzer Höhe von einem voll gestopften Bücherregal eingenommen. Davor stehen ein dunkles Ledersofa und zwei passende Sessel um einen niedrigen Tisch herum. Frau Dr. Krüger steht gerade hinter ihrem wuchtigem Schreibtisch auf und geht lächelnd auf Rebecca zu. An den Wänden hängen Diplome und Urkunden.
„Hallo Rebecca. Ich bin Helena Krüger.“ Sie streckt Rebecca die Hand hin. „Deine Mutter meinte, wir sollten uns mal ein bisschen unterhalten.“
„Meine Mutter hält mich für ein bisschen verrückt.“ Rebecca rollt die Augen.
Dr. Krüger bietet Rebecka mit einer freundlicher Geste einen Platz auf dem Sofa an und setzt sich selbst auf einen Sessel. Neben dem Sessel ist ein so winziges Schränkchen, das Rebecca es erst bemerkt, als Dr. Krüger einen kleinen Notizblock von dem Schränkchen nimmt. Das Sofa ist erstaunlich bequem, so dass Rebecca sofort aus ihren Schuhen schlüpft und die Beine auf dem Sofa ausstreckt. Ihr Freund sitzt auf dem anderen Sessel.
Dr. Krüger macht einige kurze Bleistiftkritzelein in ihren Notizblock, lehnt sich dann zurück und betrachtet ihre Patientin aufmerksam. Rebecca sieht sich die Buchrücken im Regal an. Neben den zu erwartenden Büchern über „Klinische Psychiatrie“, „Endogene Psychosen“ und „Psychologie und Psychotherapie“ stehen dort auch „Per Anhalter durch die Galaxis“ und „Alice im Wunderland“, „Die Farbe der Magie“ und „Der Herr der Ringe“.
Als nach einigen Minuten noch immer niemand ein Wort gesagt hat, ist es Rebeccas Freund, der spricht.
Rebecca sieht Dr. Krüger durchdringend an. „Sie warten, das ich das Gespräch beginne.“
„Ja Rebecca, das ist normaler Weise meine Methode.“ Dr. Krüger lächelt.
Rebecka beobachtet nun Dr. Krüger aufmerksam. Eine Junge Frau mit modischem Kurzhaarschnitt. Sympathisch. Eine kurze Weile scheint es Dr. Krüger nichts auszumachen dass sie so durchdringend betrachtet wird, doch dann wird langsam ihr Unbehagen deutlich.
„Rebecca, willst du mir nicht ein bisschen von dir erzählen?“
„War meine Mutter nicht ausführlich?“
Dr. Krüger lächelt. „Doch, deine Mutter war sehr ausführlich, kann aber natürlich nur ihre Sicht der Dinge schildern. Mich interessiert aber wie du dich selbst siehst. Was du magst oder nicht magst, was du dir so denkst, wenn du so schweigend da sitzt.“
Rebecca sieht die Therapeutin einen Moment an, dann blickt sie zu ihrem Freund auf der anderen Seite. Schließlich wendet sie sich wieder Dr. Krüger zu. „Sie wollen mit mir über meinen Freund reden.“
„Willst Du über ihn reden?“
„Wenn sie wollen. Ich habe ja kein Problem mit ihm. Und er hat auch nichts dagegen“
„Woher weißt du das?“
„Na wir reden. Was dachten Sie denn?“
„Ich wollte nur gefragt haben. Du verstehst sicher, dass ich hier nicht immer sinnvolle Antworten bekomme. Ich weiß ja noch nicht viel von Dir.“
„O.K. Also wir unterhalten uns viel, haben eine Menge Spaß daran, über andere zu lästern, und sind auch ansonsten ein ganz normales Paar.“
„Wie heißt denn dein Freund“
Rebecca sieht ihren Freund an. Der zuckt die Achseln.
„Na gut, nicht so ganz normal. Er kann mir seinen Namen noch nicht sagen, er ist für die meisten Menschen unsichtbar und nur ich höre seine Stimme in meinem Kopf.“
„Verstehst du, dass das für andere merkwürdig klingt?“
„Ja, na klar. Aber das nervt.“ Rebeccas Tonfall wird deutlich agressiver. „Die sehen mich an als gehöre ich irgendwo weggeschlossen. Ich muss aufpassen wem gegenüber ich meinen unsichtbaren Freund erwähne. Und wenn wir glauben alleine zu sein und jemand sieht uns doch, rennen sie gleich zu meiner Mutter, dass die mich endlich einweisen lässt.“ Rebecca sieht trotzig zu Dr. Krüger auf. Dann fährt sie aber doch wieder in ruhigem Ton weiter fort. „Und jetzt hat Mama sie eingeschaltet, damit ich endlich in eine Anstalt komme.“
„Anstalt sagen wir schon lange nicht mehr. Aber ja, das eine der Möglichkeiten, an die wir denken müssen. Das ist aber noch viel zu früh über so etwas nachzudenken. Bisher erscheinst du mir doch recht vernünftig. Hast du Angst vor einer Psychiatrischen Klinik?“
„Nein“ Die Antwort kommt offen und spontan. „Ich habe Angst davor, dass die mich da mit irgendwelchen Drogen so verbiegen, bis ich nicht mehr ich selbst bin. Und davor, dass mein Freund mich vielleicht nicht mehr mag, wenn ich dort verbogen wurde“ Rebeccas Freund legt ihr seine Hand auf die ihre und blickt ihr mit Liebe und Zuversicht in die Augen.
Rebecca hört ihm aufmerksam zu, Dr. Krüger lehnt sich zurück und wartet.
Als sich Rebecca wieder zu Helena Krüger dreht hat sie Tränen in den Augen. „Es tut mir so leid! Meine Freund weiß, dass sie meine Einweisung vorhin schon diktiert haben, bevor ich ins Zimmer kam. Meine Mutter sitzt schon wieder im Auto nach Hause und der Krankentransport für mich hat eben unten geklingelt und sie haben denen vorhin am Telefon versprochen, dass sie mich vorher noch ruhig stellen.“
Helena Krüger rührt sich nicht. Ihre Augen sind vor Staunen weit geöffnet und Ihr Mund steht ebenfalls offen. Sie blickt eigentlich ziemlich dümmlich auf ihre Patientin.
„Aber mein Freund weiß auch, dass sie den Schein noch nicht unterschrieben haben. Er kann nicht zulassen, dass sie uns trennen. Deswegen wird er sich ihnen jetzt zeigen.“ Rebecca sieht Frau Dr. Helena Krüger mitleidig an. Sie steht auf geht weinend auf die Ärztin zu. „Es Tut mir so leid.“
Dr. Krüger schafft es noch den verborgenen Knopf am winzigen Schränkchen zu drücken. Dann zeigt sich ihr Rebeccas Freund.
Es herrscht große Aufregung in der Psychologisch/Psychiatrischen Praxis der Dres. Krüger, Krüger und Heinemann. Vier Sprechstundenhilfen, darunter ein Mann von beachtlicher Größe, müssen die hysterisch kreischende Helena Krüger festhalten, damit Dr. Boris Krüger ihr die inzwischen vierte Injektion geben kann. Ihre vormals schwarze Kurzhaarfrisur erstrahlt in silbrigem Weiß, Ihre Augen sind ebenfalls weiß, ohne Iris, ohne Pupille. Nur ein paar Adern stehen in tief rot auf den weißen Augäpfeln hervor.
Rebecca kann ohne von irgendwem gesehen zu werden über den Tresen der Anmeldung greifen und ihre frisch angelegte Patientenakte greifen und die Praxis verlassen. An ihr vorbei stürmen vier Polizisten und zwei Männer vom Krankentransport vorbei durch das Treppenhaus. Die Trage, die die Männer vom Krankentransport zwischen sich her schieben ist in Unordnung geraten. Oben auf der Einwegdecke liegen die mit Filz gepolsterten Fesselgurte.
„Und was wird jetzt?“ Rebecca blickt ihren Freund unsicher an. Ihr Freund nimmt sie bei der Hand. „Ja,“ erwidert sie, „ich sehe ein das Mama jetzt zu weit gegangen ist, aber ich möchte nicht, dass du ihr weh tust.“
Ihr freund schüttelt resignierend den Kopf.
„O.k. Aber nicht so wie hier.“
Hand in Hand gehen beide die Treppe hinunter. Aus den Türe und Fenstern der anderen Praxen im Ärztehaus sehen diverse neugierige Menschen dem Aufgeregten Treiben zu. Während Rebecca an der Bushaltestelle sitzt und sich einen Kaugummi auspackt ihn in zwei Teile teilt, wird Helena Krüger in Begleitung zweier Polizisten aus dem Ärztehaus geschoben. Plötzlich ertönt wieder dieses Mark erschütternde Kreischen. Irgendwie hat es Frau Krüger geschafft, die dicken Ledergurte, die sie umschlangen und fixierten zu zerreißen und von der Trage zu rutschen. Die Infusionen reißt sie sich einfach aus dem Arm. Auf wackeligen Beinen und mit nur einem Pumps an den Füßen läuft sie ein paar Schritte auf die Haltestelle zu. Ihre rechte Hand zeigt auf den Leeren Platz neben Rebecca. Schrill schreit sie „Daaaah, da ist er! Seht ihr denn nicht? Er wird uns alle…“ Dann ist ihr der erste von den beiden Polizisten in den Rücken gesprungen und zusammen mit den Zwei Männern vom Krankentransport und viel Schlagstockeinsatz schaffen sie es Helena Krüger lange genug festzuhalten, bis ihr Dr. Boris Krüger eine weitere Injektion gegeben hat.
Neben Rebecka verschwindet ein Halber Kaugummi wie von Zauberhand in der Luft.
„Ein bisschen stört mich der Gedanke, dass unsere Kinder solche Tentakel haben werden.“
Rebeckas Freund muss kichern.
„Naja, es hat ja eben nicht nur Nachteile ein paar Arme mehr zu haben.“ Auch Rebecca kichert.
Der Bus Fährt die Haltestelle an und Rebecca und ihr Freund steigen ein. Rebecca zeigt Ihre Monatskarte.
Ein nach Alkohol und Urin riechender Mann zeigt mit dem Finger auf das Ärztehaus, wo wieder mehrere Polizisten mit einer Weißhaarigen Frau ringen. Ein Mann vom Krankentransport taumelt Blut überströmt in die Hände der gerade als Verstärkung eintreffenden Polizisten aus einem Mannschaftswagen.
„Wat is’n da los? Na die jehn ja ab!“
Der Busfahrer zuckt die Achseln, nickt Rebeccas Freund grüßend zu und Schließt die Tür um los zufahren.